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"All my friends have problems with their selves" - die kaum bekannte Hymne einer Generation

Vielleicht ist Bandmusik ja doch wieder das nächste große Ding. Wie mittlerweile jeder mitgekriegt haben sollte, hat Hip-Hop die 2010er Jahre regiert und ist wohl nie wieder wegzukriegen. Zum Glück, denn Hip-Hop ist nicht nur so groß wie noch nie geworden, sondern auch so divers, ausgeklügelt, vielseitig, kurz: so gut wie noch nie. Und sogenannte Rock Musik scheint ein Nischendasein zu fristen, zwar wird die Flagge für Gitarren dominierten Sound nach wie vor z.B. von Indie und der Post-Punk Revival Szene hochgehalten, findet aber zurzeit hauptsächlich abseits des Mainstream statt. Obwohl Gitarren Samples im Hip-Hop grade auch eine sehr starke Präsenz haben.

Aber es gibt neben Indie auch eine weitere Stilrichtung, die ich grade für eine der interessantesten und wichtigsten Szenen der Welt halte. Die Rede ist von Hardcore.
Ich weiß gar nicht viel über die Szene, die ihre Ursprünge im amerikanische Hardcore Punk der 1980er Jahre hat, kenne allenfalls eine Hand voll Bands und Songs, war nie auf einem Konzert. Obwohl mich ein Freund seit langer Zeit davon zu begeistern versucht, und so langsam glaube ich, anzufangen, zu verstehen. Die Hardcore Szene wirkt extrem tolerant, aufgeschlossen, total lieb. Dabei ist die Musik unglaublich hart. Bei einem Radio Broadcast der Band Stray From The Path sieht man sie zwischen den Songs mit dem Moderator über philosophische und sozialkritische Themen reden und dabei viele vernünftige und progressive Gedanken formulieren. Und dann knallt der nächste Song einem wieder frontal ins Gesicht und transportiert eine unfassbare Mittelfinger-Attitüde. Und bei einer Band wie der im Titel zitierten Knocked Loose hört man die ehrlichste, purste Verzweiflung, die ich seit langem in irgendeiner Musik wahrgenommen habe.
All my friends have problems with their selves, they don’t talk about it, nothing helps“ schreit Sänger Bryan Garris und man möchte nur „Amen“ hinzufügen. Dieser Satz klingt wie die Hymne einer ganzen Generation, auch wenn die Musik wohl viel zu hart ist, um für eine ganze Generation zugänglich zu sein. Garris nutzt dabei nicht mal irgendeine ausgeklügelte Technik beim Shouten oder Screamen, er schreit einfach ohne Rücksicht auf Verluste. Das ist nicht nur die pure Authentizität, das nimmt einen auch ganz schön mit.
 
Die Ehrlichkeit, über persönliche Probleme und harte Gefühle zu singen oder zu rappen, kennt man in den letzten Jahren nun mal hauptsächlich aus dem Hip-Hop.
Und genau das ist mein Punkt. Diese Szenen sind gar nicht so verschieden in ihrer Grundhaltung und in ihren zugrunde liegenden Gedanken. Ich hoffe sehr, mit dieser aus meinem gefährlichen Halbwissen heraus formulierten Aussage keinen Hardcore-Fans vor den Kopf zu stoßen. Nur der Sound unterscheidet sich natürlich brachial, wobei ich auch hier einige Gemeinsamkeiten zu erkennen glaube, aber das ist hier gar nicht das Thema. Hip-Hop und Hardcore sind gleichermaßen ein Sprachrohr für Wut und Verzweiflung, für radikale Ehrlichkeit und unangenehme politische Wahrheiten.
Während es im Hip-Hop heute, bedingt unter anderem durch seine schiere Größe, auch viele Negativbeispiele für die Musik als Sprachrohr gibt und sehr viele Künstler von der Industrie ausgemerzt zu werden scheinen, und man sich fragt, wo da noch irgendeine Aussage stecken soll, gibt es natürlich auch einen unfassbar großen und unfassbar guten Underground oder Nische, wo wichtige Gedanken formuliert werden. 
Und Hardcore wirkt auf mich einfach so dermaßen real und direkt, dass die Szene wie ein Aushängeschild für die Werte von Hip-Hop steht. Für die progressive und subversive Haltung. Einzige Mucke wo man das was man sagt auch verkörpern muss und so.
In den vergangenen Jahren gab es auch immer wieder Kollaborationen zwischen den beiden Szenen, z.B. zwischen Denzel Curry und Bad Brains oder Injury Reserve, JPEGMafia und Code Orange. Die Suicideboys und City Morgue wurden auf Tour von Turnstile und Trash Talk begleitet.

Und darum, hier komme ich zum Anfang zurück, ist Gitarrenmusik, Rockmusik absolut nicht tot. Hardcore ist ein sehr nischiges Phänomen, aber es steht dafür, wie modern und cool man das Grundgerüst von harter Musik verwenden kann. Hardcore ist einfach sehr punk, es ist einfach sehr Hip-Hop. Und auf eine sehr moderne Art sehr cool.

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