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Post-Punk 2021

Mit Bands wie Fontaines DC, shame oder allen voran den IDLES wurde häufig vom britischen Post-Punk-Revival der 2010er Jahre gesprochen. Doch nun, zum Anfang des nächsten Jahrzehnts, betritt eine neue Generation von jungen Bands die Bühne und diese scheinen der Bezeichnung Post-Punk doch viel eher zu entsprechen. Waren die IDLES beispielsweise noch eher klassischem Punkrock verpflichtet, bringen neue Bands das Genre wirklich einen Schritt weiter und lassen den Punk dadurch frisch und modern wie nie zuvor klingen.

So wirkt die britische Punk-Szene momentan so kreativ wie seit Jahrzehnten nicht mehr und auch Fontaines DC und shame sind mit ihren zweiten Alben beide einen gewaltigen Schritt nach vorne gegangen. Andere Bands wie beispielsweise black midi bedienen sich an Post-Rock Ästhetiken und feilen an einem Stil, der schon als Art-Punk zu bezeichnen ist. Und auf drei stellvertretende Alben aus diesem Jahr von Dry Cleaning, Squid und Black Country, New Road möchte ich hier genauer eingehen, um die Vielfalt und Kreativität von Post-Punk im Jahr 2021 zu beleuchten.

Dry Cleaning - New Long Leg

Nach zwei EPs erschien dieses Jahr das Debüt-Album der vierköpfigen Band aus London. Sängerin Florence Shaw trägt über zehn Tracks ihre kryptischen Spoken-Word Lyrics vor, während die Band sie mit treibenden Instrumentals unterlegt. Bass und Drums bilden die rumpelnde Basis für den sehr aufgeräumten Mix, über dem die hellen Gitarrenriffs von Tom Dowse und natürlich Florence Shaws eingängige und in ihrer Gleichgültigkeit sehr charismatische Stimme schweben. Die Texte leben von einem britisch-trockenen Humor und einer gewissen Arroganz. Von den drei Bands in dieser Auswahl sind bei Dry Cleaning die Punk Wurzeln noch am deutlichsten zu hören, auch wenn sie auf dem letzten Track in einen minutenlangen Ambient-Noise Part abdriften. Aber ihre kreativen Gitarrenriffs, die Produktion und vor allem Shaws Gesang lassen sie sehr modern und erfrischend klingen und verbinden alles zu einem überaus unterhaltsamen und spaßigen Album.

Squid - Bright Green Field

Die Band aus Brighton veröffentlichte in diesem Jahr ihr Debüt-Album über das Electronic Label Warp Records. Darauf gehen sie schon einen ganzen Schritt weiter als beispielsweise Dry Cleaning, ihre Songs verbinden Elemente aus Math Rock, Kraut Rock, Noise und Ambient und brachten ihnen so schon an verschiedener Stelle die Bezeichnung Art-Punk ein. Das ganze Album wirkt wie ein Fiebertraum, auf dem Drummer Ollie Judge seine klaustrophobischen Lyrics rotzt und schreit, wobei er an manchen Stellen an David Byrne erinnert. Die beiden Gitarristen Louis Borlase und Anton Pearson, Bassist Laurie Nankivell und Arthur Leadbetter am Synthesizer schaffen eine albtraumhafte Klangkulisse, in der ihre einzelnen, durchkomponierten Parts ineinandergreifen wie ein Uhrwerk und trotzdem an vielen Stellen wie zufällig platziert wirken. Auch sie driften immer wieder in minutenlange, noisige Ambient Parts ab, die dann wieder vom nächsten Punk Banger abgelöst werden. Der einzige Wermutstropfen bei diesem großartigen Album ist, dass die drei besten Songs "Narrator", "Paddling" und "Pamphlets" alle vorab als Single veröffentlicht wurden, so dass sie die Highlights zwischen ein paar weniger hervorstechenden Songs darstellen. Doch Squid schaffen hier ihren ganz eigenen und äußerst spannenden Stil, der auf zukünftigen Projekten hoffentlich noch weiter ausgefeilt wird.

Black Country, New Road - For the first time

Diese Band ist ein Phänomen. Mit grade Anfang Zwanzig veröffentlichte die siebenköpfige Gruppe aus Südlondon ihre ersten Singles, die dieses Jahr auf ihrem Debüt-Album erschienen sind und versetzten damit Kritiker*innen auf der ganzen Welt in Erstaunen und Entzücken. Als an verschiedener Stelle als neue beste Band der Welt deklariert, scheinen sie einfach alle Konventionen sogenannter Rockmusik über den Haufen geworfen zu haben und entwarfen einen wilden Mix aus Post-Rock, Punk und Jazz. Den roten Faden hält hierbei Sänger und Gitarrist Isaac Wood in der Hand, dessen mit brechender Stimme vorgetragenen Lyrics von dadaistisch-absurd bis post-industriell schwermütig reichen. Musikalisch passiert bei der Besetzung aus Drums, Bass, zwei Gitarren, Keys, Saxophon und Geige einfach so viel, dass man sich beim ersten Hören erstmal durch diesen Post-Rock-Dschungel kämpfen muss. Die detaillierten, brillanten Kompositionen werden dann bei jedem Hören deutlicher. Ihre Musik ist derart pompös und geradezu prätentiös, dass man ihr auf einem Konzertsaal-Sessel sitzend lauschen könnte, doch genauso möchte man sich dazu in einen Moshpit schmeißen. Einzig der sehr ruhige, geradezu romantische "Track X" fällt ein wenig raus aus der sonst so wüsten Soundlandschaft. For the first time ist auf jeden Fall das sperrigste Album aus dieser Liste, bei dem der Punk nur noch im Detail steckt und auf dem Black Country, New Road sich von allen Erwartungen und Zwängen befreien, um völlig ungeniert ihre ganze eigene und supermoderne Lesart von Rock und Post-Punk zu erschaffen.

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