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Review: Lord Folter - 1992day (2020)

Der Düsseldorfer Underground-Rapper und Producer nutzt sein außergewöhnliches lyrisches Talent auf seinem mittlerweile fünften Projekt, um über ausgeklügelten, von Indie und 90s Hip-Hop gleichermaßen inspirierten Instrumentals tiefe und authentische Einblicke in die Gedankenwelt eines von inneren Dämonen geplagten Twentysomethings zu geben.
 
1992day besteht aus entspannenden wie bedrückenden Momenten gleichermaßen, was bleibt, ist die melancholische, wenn nicht sogar deprimierende Grundstimmung. Lord Folters tiefe und überaus angenehme Erzählstimme nimmt einen vom ersten Song „11 Semester“ ausgehend an die Hand und führt durch die 14 Tracks, ohne auch nur einen Augenblick der Langeweile zuzulassen.
In kryptischen Lyrics voller bildgewaltiger Sprache und verzerrter Sprichwörter spricht er völlig ungeschönt und schonungslos, aber ohne jede Übertreibung, über mentale Probleme. Sein stream-of-consciousness folgender Schreibstil scheint auf 1992day seinen bisherigen Höhepunkt gefunden zu haben. Das Album beinhaltet derart viele großartige Lines, dass man sich daraus eine Collage basteln und an die Wand hängen will.

„Der Kopf ist ein Kamin, qualme alles zu / finde keine Ruh / nichts ist gesagt, alles ist gemeint / halte mich zurück, zügle meine Wut / kriege alles mit, höre keinem zu“

In detailgenauen und pointierten Beobachtungen verarbeitet er erbarmungslose Themen wie krebskranke Familienmitglieder, kindliche Panik und Depressionen bis hin zu Suizidgedanken. Dabei sind diese Themen in den meisten Fällen zwischen den Zeilen zu suchen, die teilweise umso erschreckender werden, je häufiger man sie hört oder je intensiver man über sie nachdenkt.

„Eure Kinderlieder sind nur Trauerballaden / hinter Gardinen kauern sie, das eigene Trauma ertragend“

Während die ersten vier Songs relativ ruhig und harmlos zu bleiben scheinen, folgen danach in der Mitte des Albums die härtesten Stücke. Audio88 und Dissy liefern hier beide mehr als stabile Feature-Parts, auch wenn sie in der sonst so intimen Welt des Albums ein wenig den Flow stören können.
Mit Songs wie „ADHS“, „Off“ oder „Wenig Zeit“ spricht Lord Folter auf dem letzten Drittel aber wieder vermeintlich einer ganzen Generation von jungen, desillusionierten Menschen aus der Seele.

1992day ist ein Album, um in Ruhe zuzuhören, das seine ganze Tiefe nach jedem wiederholten Hören weiter enttarnt. Dann kann es einen richtig mitnehmen und für Tage beschäftigen.
Kein Deutschrap-Projekt der letzten Jahre, mit Ausnahme vielleicht von Geist und Diskman Antishock, hat mich derart beeindruckt.


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